Freitag, 19. April 2013

Wie Twitter Einfluss nehmen kann: Von Terroristen und Verdächtigen

Zuerst fiel es mir bei GMX.de auf: Die per Überwachungskameras ermittelten Verdächtigen des Bombenanschlags von Boston wurden dort als feststehende "Täter" bezeichnet, ohne dass es stichhaltige Beweise, geschweige denn Geständnisse gab. Als ich diese Schlagzeile etwas später nicht mehr wiederfand, schaute ich einfach bei jenem Kandidaten nach, dem ich diese unreflektierte Art der Berichterstattung am ehesten zutraute; BILD.de. Prompt wurde ich fündig und machte meinem Unmut Luft - zugegebenermaßen in ungewohnt infantil-polemischer Ausdrucksweise, aber ich bin heute irgendwie gereizt und sowieso, leckt mich doch.
Nach zusätzlicher Diskussion mit @germanpsycho meldete sich der "Head of Social Media zu Wort, der seine Kollegen auf diesen "Fehler" hingewiesen habe. Und tatsächlich, im Laufe des Abends wurde aus dem "Terroristen" ein "Verdächtiger":

Dabei sind zwei Dinge besonders bemerkenswert.

Erstens: Ich wollte nur Stunk machen. Dass der Tweet tatsächlich etwas bewirken könne, hatte in meiner Vorstellung keinen Platz. Es scheint also, dass die deutsche Medienlandschaft mittlerweile begriffen hat, dass Twitter ein bedeutendes Forum des öffentlichen Meinungsklimas geworden ist. Entsprechende Retweets und Favs trugen zur Gewichtung meiner Kritik bei.

Zweitens: Eben weil ich keine Konsequenzen erwartete, war ich nicht sachlich, sondern polemisch offensiv in meiner Wortwahl. Dass solch ein Trolltweet dennoch vom Empfänger in solchem Maße ernst genommen wird, habe ich selten erlebt. An dieser Stelle möchte ich um Verzeihung für die Ausdrucksweise bitten und meinen Hut vor Herrn Torsten Beeck ziehen.

P.S.: Dennoch soll das keine Lobrede werden. Klickt man sich weiter zum "Artikel", beginnt dieser mit dem Satz: "Einer der gesuchten Terroristen ist tot." Aber was soll's - der geneigte Bild.de-Ansurfer liest ja eh nur die Schlagzeilen auf der Startseite.

Dienstag, 16. April 2013

Über Bomben, Ethik und Krankenschwestern


Es ist immer dasselbe. Attentate sind fürchterlich, das bezweifelt niemand. Doch offenbar scheint keine Reaktion die richtige im Meinungsklima der vernetzten Öffentlichkeit zu sein. Bei ehrlichen Bekundungen des Mitgefühls sind sofort die Moraltrolle auf dem Posten, das aktuelle Ereignis der ersten Welt mithilfe der alltäglichen Missstände in einschlägigen Krisengebieten zu relativieren. Eine Diskussion á la "Meine Moral ist aber viel besser als Deine!" wird entfacht, die nur selten zielführend ist und in den meisten Fällen in persönlichen Anfeindungen und - bei Twitter - Entfolgungen endet.

Die Frage ist doch: Was will der Moraltroll erreichen?

Will er überflüssigerweise auf die schiefen Schwerpunkte medialer Berichterstattung hinweisen, die im Grunde jedem bewusst sind? Will er seine ethischen Ideale über die Anderer stellen? Will er das aktuelle Ereignis tatsächlich als irrelevant abwerten (und damit seine ach so edle Ethik ad absurdum führen)? Es kann mir niemand erzählen, dass er tagtäglich aufgrund des Terrors in Krisenländern um den Schlaf gebracht wird und deshalb nur müde über so ein Attentat wie dem aktuellen Boston Marathon Bombing lächeln kann.

Kann man Ethik relativieren?

Es ist immer dasselbe. Wenn ein großer Fußballtransfer durch die Medien geht, ist plötzlich auch wieder jeder Mitglied im "Solidarität für geringverdienende Krankenschwestern e.V.". Doch genau so wenig, wie man Gehälter und Leistung von Berufen bspw. im öffentlichen Dienst und im Medienbusiness vergleichen kann, lässt sich doch Betroffenheit aufgrund schrecklicher Gewalt gegeneinander aufwiegen. Hört auf mit diesem ethischen Schwanzvergleich.